7. Mai 2008

Lesetipp: Lyrik gegen Barbarei

M. Mädes Gedichte berichten von der Liebe in Zeiten des Krieges
Teil 5 der Serie "Literatur und Engagement " in der jungen Welt, von Thomas Wagner

Ein Morgen vor dem März/Es knistert im Gebälk untoten Holzes./Kraftlos glänzt der Frost./Vorsichtig atme ich geklärte Luft./Um mich keine wirkliche Stille./Heimtückisch liegt das Frühjahr/auf der Lauer.« Dieses Vorfrühlingsbild aus Michael Mädes schmalem Gedichtband »Balance am Rand« (2004) bricht mit liebgewordenen Erwartungen, die wir an den Jahreszeitenwechsel zu richten gewohnt sind.

Die blanken Nerven des 1962 in Karl-Marx-Stadt geborenen Dichters reagieren auf das noch im idyllischen Augenblick verborgene Unheil. Erfahrungsoffene Skepsis tritt an die Stelle einer ästhetischen Überlieferung, die sich in falschen Sicherheiten wiegt und damit den Blick auf die Realität von vorneherein verfehlt. »Hoffnung, sagt der Dichter,/der, genüßlich aus der Zeit/gefallen ist, HOFFNUNG IST/EINE GATTUNGSEIGENSCHAFT DER KUNST./Nun gut, sage ich da,/mit der Kunst also/habe ich auch/nichts mehr zu schaffen.« Das lyrische Ich sieht sich gleichsam auf verlorenem Posten, wenn es die wechselvollen Etappen der Liebe ausbuchstabiert, während der Krieg sich bereits häuslich eingerichtet hat »in noch entfernten Städten,/ um weiter Ernte zu halten.« Dem allgegenwärtigen Staatsterror trotzt Mädes aktuelles Lyrik-Buch »don’t be a stranger« (2007) dennoch intime Einsichten in den Verlauf einer erotischen Freundschaft ab, die aufgrund widriger Umstände von Beginn an vom Scheitern bedroht ist.

Die anderswo gebundene Geliebte gerinnt dabei nie zum abstrakten Wunschbild, sondern gewinnt ein deutlich eigenständiges Profil. Im Rückblick klingt das so: »Er ist übrig/Sie hat überlebt./Er ist böse/Sie kann es nicht sein./Er sieht den Augenblick./Sie lebt ihn./Er sieht Menschen./Sie mag sie.« Wo die Fernbeziehung die Berührung von Haut zu Haut zur seltenen Ausnahme macht, spendet das Handy Trost: »Manchmal streichelt/er die Tasten./Es darf inzwischen/mit ins Bett.« Eine kurze Weile überbrückt es die Distanz zwischen zwei verschiedenen Erfahrungswelten, die sich dauerhaft nicht verbinden lassen: »Sie reden miteinander/Sie verbringen den Tag./Er tut das, was er für Arbeit hält./Sie versorgt ihre Kinder,/ist ihrem Gatten zu Diensten,/soweit sie es vermag./Sie lachen zusammen./Sie beschützen sich./Sie berühren sich./Alles in 160 Zeichen.« Nur für kurze Zeit gelingt das Glück der Begegnung. Als es vorübergezogen ist, verschaffen sich die Nebengeräusche wieder Gehör: »Die Welt mit ihrer Verheerung, dem Hunger, dem Krieg, der diskret brüllenden Ungerechtigkeit und dumpfer Dummheit kehrt zurück in seinen Kopf.«

Dem noch in der DDR politisch sozialisierten Intellektuellen Michael Mäde ist das Wissen um den schlechten Zustand der Welt nie lange abhanden gekommen. Seit vielen Jahren engagiert er sich in verschiedenen linken Bündnissen und Parteien für die kritische Erneuerung des Marxismus und gegen die herrschende Kriegspolitik. In seinem vom Horlemann-Verlag publizierten Gedichtband »Merkliche Veränderung« (2001) hat er protokolliert, wie sich die Bewohner der DDR vom kapitalistischen System überlagern ließen: Sie »tauschten unsere frischgespülte Moral/locker EINS ZU ZWEI«. Davon blieb die menschliche Natur nicht unberührt: »Unsere Ellenbogen haben sich eine Hornhaut zugelegt.« NATO-gepanzert und nach alter Moral wieder vereint geht es schon bald in die neuen Kolonialkriege, über die Mädes zweite Gedichtsammlung »Bomben und Landnahme« (2003) berichtet. Acht Tage nach dem Massenmord vom 11.September 2001 zeigt sich das lyrische Ich zunächst ängstlich und verunsichert: »AUCH MICH HABEN SIE BEKOMMEN/beklommen sitze ich im Jumbo/nach Franfurt am Main und sehe/im Anflug die gläsernen Türme der Stadt./Vorsichtig wende ich mich/um zu schauen/ob es sich auf wen zu achten lohnt./Nach wem, denkt ihr, habe ich geschaut./AUCH MICH HABEN SIE BEKOMMEN.«

Der auf allen Kanälen geschürten Furcht stellt er solidarisch den empathischen Blick auf den zum fremden Feind gestempelten Nachbarn entgegen: »Der Mann an der Ecke/trug früher immer Turban./Den Laden mit Zeitungen/und Zigaretten hat er gestern/aufgegeben./Angst, sagte er, habe er/schon lange Zeit./Nun aber, müsse er fort,/sagte er und lachte./Nun, sagte er, fürchten/sich die Leute vor ihm.« Moralisch armselig und politisch bodenlos erscheint angesichts solcher Opfer der herrschenden Gewalt die unter vermeintlichen Sozialisten geführte Diskussion, »ob man mit den Herrschern/ der Welt KRITISCHE SOLIDARITÄT/üben müsse«. Für Mäde ist der Krieg in Afghanistan »kein Fehler,/ist keine FALSCHE ANTWORT./Dieser Krieg ist ein Verbrechen.« Und wenn die Kriegstreiber lügen: »Mord aus großer Höhe ist erlaubt«, versagen auch die Poeten und Schriftsteller in der großen Mehrheit kläglich: »Notwendig ist,/es herauszuschreien,/das dies Schlachten/den nächsten Wahnsinn nur vorbereitet./ Längst aber/ schweigen die Dichter./ Nur ich plappere noch.« Aus Mädes Gedichten spricht die Sehnsucht eines Träumers. Doch wer Mäde so nennt, sollte eines bedenken: Wo mörderische Alpträume täglich aufs neue wirklich werden, bringen uns am Ende einzig und allein die Träumer noch dazu, uns den Fortbestand der Welt überhaupt wünschen zu wollen.

* Michael Mäde: don’t be a stranger. Ein Bericht. Berlin, trafo-Verlag 2007.

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